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Architektur und Historie

2014 erwirbt Clemens Kunisch, geboren und aufgewachsen in Esslingen, die Villa Nagel . Zusammen mit seinem Bruder Matthias Kunisch sanierte und restaurierte er das Kulturdenkmal mit dem nötigen Sinn für historische Authentizität, um sie dann vor allem kulturell wieder zu beleben. Seit 2016 finden hier Kunst- und Kulturveranstaltungen statt.

Geschichte der Bürgervilla:

1873

als Villa für den Stadtbaumeister Gustav Wenzel nach dessen eigenem Entwurf vom 5. April errichtet 

Wohl noch im Oktober um die Verandaplanung erweitert, dazu Hintergebäude 

Die Pläne werden am 26.  April vom Kgl. Oberamt genehmigt.

1874

Am 31. Dezember verkauft Stadtbaumeister Gustav Wenzel an August Weiß: ,,Ein 2 ½ stock. Wohnhaus von gemischter Bauart mit Walmdach u. Blitzableiter, zwei gewölbten Kellern au­ßerhalb des Landolinsthor" nebst Staffel an der unteren Ebershalde, sowie einen Holzstall und eine Waschküche samt Garten und Weinberg neben Stadtgeometer Burkhardt für 26.700 Gulden, die zu diesem Zeitpunkt bereits bezahlt sind!

1895

trat Augusts Sohn Rudolf Weiß (1871-1943) als Kaufmann in die Firma des Vaters ein. Er wohnte seit 1896  bei  seinem  Vater  im  Haus.  August Weiß starb 1927 hochbetagt in seiner Villa. Im Jahr darauf erwarb der städtische Musikdirektor Wilhelm Nagel das Anwesen.  Für ihn wurde 1937 eine Autogarage errichtet und das Haus an die städtische Schwemmkanalisation angeschlossen. Der Grundriss der Beletage zeigt, dass in der einstigen  Speisekammer  ne­ben der Küche jetzt ein Bad mit Wanne eingerichtet  war.

1927

Tod von August Weiß

1928

Erwerb durch Wilhelm Nagel

1937

Erstellung einer Autogarage für Wilhelm Nagel, städt Musikdirektor, und Anschluss an die Schwemmkanalisation

1968

brannte es im Haus. Das hatte Folgen für das Erdgeschoss, das 1976 stark verändert wur­de. So wurden Wände herausgenommen, um hier ein Pelzgeschäft einzurichten. Der rückwärtige Waschküchen- und Holzlegebau wurde 2000 abgebrochen. 

 

2000

Restauratorische Untersuchung der Stuckomamentik durch Willi Clauss, Atelier für Stuckres­taurierungen. Ursprünglich war die gesamte Bauzier der Fassade monochrom in Umbra gestri­chen. Der rückwärtige Waschküchenbau abgebrochen.

Lange Zeit stand die Villa Nagel in der Ebershaldenstraße leer.

Der heute gebräuchliche Name des Hauses „Villa Nagel" ist eigentlich irreführend. Der Bauherr des Hauses hieß nicht Nagel, sondern es war der Stadtbaumeister Gustav Wenzel. Erster Bewohner und Eigentümer der fertigen Villa war dann der  Esslinger  Unternehmer August Weiß, Inhaber der Sektkellerei Kessler. Der Esslinger Komponist und Musikdirektor Wilhelm Nagel hat das Haus hingegen erst 1928 erworben.

Am 10. Mai 1874 erwarb der Kommerzienrat August Weiß (1832-1927) von Katharina Bräun­le, der Witwe des Weingärtners Jakob Gottlieb Bräunle, an der unteren Ebershalde für 1850 Gulden einen Weinberg. Damit bereitete er offenbar den Erwerb einer Immobilie vor, die der Stadtbaumeister Gustav Wenzel auf einem ebenfalls ursprünglich dem Weingärtner Bräunle gehörigen Grundstück errichtet hatte. Wenzel verkaufte jedenfalls  am  31.  Dezember  an  Au­gust Weiß: ,,Ein 2 ½ stock. Wohnhaus von gemischter Bauart mit  Walmdach  u. Blitzableiter, zwei gewölbten Kellern außerhalb des Landolinsthol' nebst der Staffel an  der unteren Ebershalde, sowie einen Holzstall, eine Waschküche samt Garten und Weinberg neben Stadtgeometer Burkhardt für 26.700 Gulden. Diese waren, wie das Esslinger Kaufbuch ver­merkt, zu diesem Zeitpunkt bereits gezahlt"'. Das könnte darauf hindeuten,  dass Wenzel auf dem im Jahr zuvor durch ihn erworbenen Grundstück ein Gebäude in dem sicheren Wissen errichtete, dass er dieses sehr bald gewinnbringend an einen zahlungskräftigen Interessenten verkaufen würde.

Jedenfalls hatte Wenzel am 15. April 1873 den Antrag zum Bau einer Villa nach eigenen Plä­nen  eingereicht, der  bereits am  26. April anstandslos genehmigt  wurde. Wenzel  hatte  sich übrigens auch gleich noch das östlich benachbarte Grundstück gesichert, das  bis heute  unbe­baut ist. Er dürfte es an Weiß mitverkauft haben. Daran schloss sich das weitere Eigentum Bräunles an, das Weiß schließlich zur Abrundung des Besitzes erwarb. Schon auf dem Situa­tionsplan zum Bauprojekt Wenzels erscheint auf dem Grundstück seitlich des Hauses eine Wegeführung in Bleistift skizziert, offenbar Vorüberlegungen zur Gartengestaltung.

Das Haus erhielt einen Vorgarten, rückwärtig zum Weinberg Holzlege und Waschküche. Anfänglich scheint Wenzel das Haus noch für zwei gut situierte Parteien geplant zu  haben, denn er sah in beiden Geschossen je eine eigene Küche vor. Entsprechend identisch sind die Grundrisse der beiden Wohngeschosse gestaltet, die sich um einen zentralen Vorplatz ordnen. Im Dachgeschoss waren hingegen lediglich Kammern vorgesehen, die sicherlich für Hausange­stellte gedacht waren.

Die Zimmer in Erdgeschoss und Beletage sind zur Straßenseite als Abfolge von drei Räumen in Enfilade angelegt. Das mittlere Zimmer ist dabei nicht das größte. Rückwärtig ordnete Wenzel im Nordwesten die Küche und im Nordosten ein weiteres Zimmer an. Das Treppenhaus legte er in einen polygonal ausspringenden Mittelrisalit. Die Beletage erhielt rückwärtig einen Balkon und einen Steg über den grabenartig  eingeschnittenen Hof  als Verbindung zum Terrassengar­ten hinter dem Haus.

Die Fassade ist annähernd nach dem Entwurf ausgeführt, wenn auch nicht die Bänderrustizie­rung des Erdgeschosses. Auch hier ist denkbar, dass diese im späteren 20. Jahrhundert der Purifizierung anheim fiel.

Wie die Nachbargebäude ist auch die Villa Weiß dreiachsig aufgebaut. Der Mittelteil ist als Risalit unter einem Giebel hervorgehoben. Über den rundbogigen Zwillingsfenstern sitzt, um­wunden von Eichenlaubgebinden, ein Medaillon mit profiliertem Rahmen, aus dem eine Volu­tenkonsole hervortritt. Sie trägt eine antikisierende Frauenbüste mit Diadem. Den herrschaftli­chen Balkon zieren barocke Vasenbaluster. Die Fassade wird durch Simse und die Brüstungs­felder unter den Fenstern gegliedert, welche der starken Vertikalgliederung der Fassade entge­genwirken. Die Stilformen schwanken zwischen Renaissance und Barock, klassizistisches Ge­dankengut kommt noch in der Gesamtgliederung zum Tragen. Die Villa Weiß bildet somit ein sehr typisches  Beispiel für den Historismus der 1870er Jahre.

Während die Schaufront durch reichen architektonischen Schmuck hervorgehoben ist, sind Schmalseiten und Rückfront zurückhaltend als einfache Putzfassaden  gestaltet, wie dies auch bei den benachbarten Häusern der Fall ist.

Das Innere hat vor allem im späteren 20. Jahrhundert stark gelitten, u. a. durch ein Schadens­feuer 1968 und gravierende Umbaumaßnahmen für ein Pelzgeschäft im Erdgeschoss. Doch verraten die spätklassizistischen Dekorationsmalereien im Eingang, im Wintergarten und vor allem die reiche Täfelung im Stil der deutschen Renaissance des Vorplatzes in der Beletage, wie reich ausgestattet man sich diesen großbürgerlichen Bau vorzustellen hat. Der Vorplatz wirkt wie ein Hofraum, auf den sich, streng symmetrisch angeordnet, die Türen zu den Zim­mern und der hohe Durchgang zum Treppenhaus öffnen. Erhalten blieben hier und in einigen anderen Räumen auch die alten farbig gemusterten Fliesenböden.

Die Inneneinrichtung dürfte teilweise auf Wunsch von Weiß gestaltet worden sein. In der Neo­renaissancegestaltung des Vorplatzes mit einem Handwaschbecken in Form einer Ädikula und einem Schirmständer mit Garderobenspiegel zeigt sich das Geschichtsbewusstsein des Groß­bürgertums: man suchte an die große Zeit der deutschen Renaissance anzuknüpfen, an die Epoche der Reformation, mit der sich das nationalstolze Bürgertum im Kaiserreich besonders identifizierte. Für August Weiß bot dieser Bau das passende Ambiente zur Selbstdarstellung als erfolgreicher renommierter Esslinger Unternehmer, dessen Sektkellerei zahlreiche internatio­nale und nationale Auszeichnungen erhalten hatte und dessen prickelndes Produkt am  König­- und am Kaiserhof in Stuttgart und Berlin genossen  wurde.

In einzelnen Räumen haben sich Stuckrosetten erhalten. Das Südostzimmer der Beletage zeigt eine eigentümliche Presstapete an der Decke, die scheinbar in kleinteiliger Form Kassettende­cken imitiert. Restauratoren vermuten eine Entstehung in den 1920er Jahren, doch legen die Formen eher das späte 19.  Jahrhundert nahe.



 

 

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